Bangladesch: Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus leitet das Übergangskabinett
In Bangladesch sind am 08.08.24 die Mitglieder einer geschäftsführenden Regierung vereidigt worden. Unter Vorsitz des 84-jährigen Friedensnobelpreisträgers Muhammad Yunus, der als Erfinder der Mikrokredite gilt, soll das Übergangskabinett, dem auch zwei Studentenführer angehören, die Geschicke des Landes lenken.
Die Herausforderungen sind gewaltig:
In kurzer Zeit sollen alle Vorbereitungen zur Abhaltung freier und fairer Wahlen getroffen werden, dabei das politische System für neue Ideen und Persönlichkeiten geöffnet, das Vertrauen in staatliche Institutionen wiederhergestellt und ein Aussöhnungsprozess innerhalb der tief gespaltenen Gesellschaft eingeleitet werden. Yunus besitzt keine politische Basis, hat aber das Vertrauen der Parteien. Noch ist nicht klar, wie lange die Übergangsregierung im Amt sein wird und welche Aufgaben sie neben der Vorbereitung der Wahlen vollends oder teilweise übernehmen soll. Klar scheint aber, dass die Übergangsregierung die Initiative ergreift, um die Morde, die während des Studentenprotests begangen wurden, vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verhandeln.
Einige führende Köpfe aus Wirtschaft, Verwaltung oder der Rechtsprechung (darunter Richter des Supreme Court) sind unter Druck zurückgetreten. Ihnen wurde ihre Nähe zum Hasina-Regime zum Verhängnis. Die Polizei, die aus Scham und/oder Angst vor Vergeltung für einige Tage verschwunden war, was zu teilweise anarchischen Verhältnissen führte – überall bildeten sich Zivilwachen, um sich gegen Plünderungen zur Wehr zu setzen -, ist mittlerweile zurückgekehrt. Teilweise sorgen Polizisten und Studenten gemeinsam für Ruhe und Ordnung.
Wie geht es weiter im Land?
Die augenblickliche Ruhe ist trügerisch. Die Awami League (AL) liegt am Boden, versucht aber bereits über den Sohn Sheikh Hasinas, Joy, die Deutungshoheit über die Ereignisse der jüngeren Vergangenheit zu erlangen. Joy gibt ausländischen Geheimdiensten, „einigen“ Polizeikräften und Teilen der früheren Regierung die Schuld an der eskalierenden Situation. Dass Sheikh Hasina Regierungschefin und die AL in der Regierung war und große Teile der Gerichtsbarkeit und die Polizei kontrollierte, führt er nicht aus. Das Motto lautet: Keine Schuld zugeben, keine Fehler eingestehen, Stärke demonstrieren, selbst wenn die Argumentation „weird“ ist. Die BNP ist durch die Jahre in der Opposition und die harte Gangart der AL ihr gegenüber geschwächt und gespalten. Die Jamaat-i-Islami ist sehr gut organisiert und genießt zumindest außerhalb der Metropolen Ansehen, wenn auch „islamistische Übertreibungen“ im Land der Bengalen nicht goutiert werden. Es gibt eine Reihe kleinerer Parteien und Bündnisse, die durchaus auf Linie der Studierenden sind, denen Demokratie und Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Chancengleichheit wichtig sind. Sie haben aber nicht die Reichweite und die Geldquellen (auch aus dem Ausland) wie die großen Parteien.
Sollte die Übergangsregierung Reformen in der Justiz und in der Wirtschaft umsetzen wollen, die Parteienfinanzierung überprüfen und Kandidaten für die Wahlen auffordern, die Quellen ihres Vermögens offenzulegen, so dürfte es mit der Beliebtheit Yunus’ bei diesen Parteien schnell vorbei sein. Mit dem Militär wird sich Yunus ohnehin nicht auseinandersetzen können und wollen. Wenn Yunus sich auf die Vorbereitung der Wahlen konzentriert und Reformen in die Hand der gewählten Regierung legen möchte, besteht die Gefahr, dass eine Allianz aus BNP und Jamaat an die Macht kommt, die den Regierungsstil der AL kopieren wird. Eine BNP-JI Koalition kann Indien nicht gefallen. Beide haben enge Verbindungen nach Pakistan und Richtung Golf und sind bekannt für ihre harsche Kritik an Indien.
Gleichwohl: Bangladesch braucht Indien – Indien braucht auch Bangladesch! - und beide Länder müssen, wie bereits zwischen 1991 und 1996 sowie zwischen 2002 und 2007 geschehen, Modi der konstruktiven Zusammenarbeit finden.
(Text: Dr. Martin Peter Houscht)